Die erste Halbzeit ist nun wirklich um und im Moment vergeht
die schöne Zeit rasend schnell. Natürlich ist nicht immer alles einfach und
manchmal bin ich richtig genervt von den Kenianern. Ich werde hier anerkannt
und mit Respekt behandelt, die Leute kennen mich und mit den meisten Kollegen
verstehe ich mich echt gut. Aber man ist und bleibt Deutsch. Auch wenn es mit
der Sprache langsam besser wird und man die Gewohnheiten und das Verhalten der
Leute kennt. Die eigene Identität kann ich nicht so einfach ablegen und ich
merke, dass die Denkweise, meine und die der anderen, doch ganz stark von der
Kultur, in der man aufwächst, geprägt wird. Ich dachte, sich anzupassen, kann
doch nicht so schwer sein, aber auf Dauer ist das anstrengend. Dann tut es gut,
sich mit anderen Deutschen auszutauschen und schon mal ein „die spinnen, die
Kenianer“ los zu werden. Ich möchte nicht damit sagen, dass Deutsche besser
sind als Kenianer. „Jede Kultur ist gut“ hat ein tansanischer Priester auf dem
Zwischenseminar zu uns gesagt. Jede Kultur hat ihre guten und schlechten
Aspekte. Daher kann jeder von jedem lernen. Z.B. zählt der Familienzusammenhalt
hier viel mehr. Die Tochter unseres Dholuolehrers hat z.B. die fünfte Tochter
einer Freundin bei sich aufgenommen. Diese Freundin wohnt mit ihrem Mann und
den anderen Kindern in einem Slum in Nairobi und hat keine Arbeit. Die Kinder
können nicht zur Schule gehen. Hier geht das kleine Mädchen zur Schule und
nennt ihre Pflegemutter sogar Mama. Diese teilt ihr Bett mit ihr!
Andererseits scheint hier niemand seinem Partner wirklich
treu zu sein. Themen wie HIV werden dabei tot geschwiegen. Die Kirche leistet
in Kenia viel. Es werden gute Schulen und Krankenhäuser gebaut, sie gibt den
Menschen Hoffnung und für viele ist die Sonntagsmesse der Höhepunkt der Woche.
Es ist die einzige Abwechslung vom Alltag für viele. Da kann man verstehen,
dass ein drei Stunden Gottesdienst gefordert wird.
Aber warum steht in einem Science Buch (für den
Naturwissenschaftenunterricht).
„Sex vor der Ehe ist schlecht. Sex vor der Ehe kann HIV
übertragen“. Kein Wort über Sex nach der Ehe. Kein Wort zu Kondomen. Und das in
der Schule. Zuhause erfahren die Kinder sicher keine Aufklärung!
Über HIV spricht man nicht, doch die Infektionsrate liegt
bei 40%. Wie soll das in ein paar Jahren aussehen?
Mittlerweile kennen einen die Leute im Dorf, doch geht man
ein paar Kilometer weiter ist man wieder nur „Mzungu“. In Deutschland würde man
niemandem mit „ hey schwarzer Mann“ ansprechen! Außerdem sehen viele in deiner
Hautfarbe das Geld. Von Straßenverkäufern wird man viermal solange belagert wie
die Einheimischen und auf dem Markt wird mindestens der doppelte Preis genannt.
Auch nach einem halben Jahr wird man immer wieder in Kenia willkommen geheißen,
sogar im eigenen Parish.
Im Moment sieht mein Alltag so aus, dass ich vormittags ins
Krankenhaus gehe und dort entweder in der Pharmazie, auf der Station, im Büro
oder auf der HIV- Station helfe
Irgendwann am Tag habe ich eine Sciencestunde in der
gemischten Primary School. Der Unterricht macht Spaß, ist aber auch
anstrengend. Nur manche Kinder haben Bücher und das Lerntempo ist sehr
unterschiedlich. Immerhin verstehen sie mittlerweile mein Englisch und ein
Junge spricht scheinbar erst Englisch, seit ich den Unterricht mache. Bei
anderen Lehrern können sie auf Dholuo ausweichen. Außerdem muss der Unterricht
für die Schüler furchtbar langweilig sein. Das Lernprinzip in Kenia besteht aus
Vor- und Nachsagen und Auswendiglernen. Selbstständiges Lernen wird nicht
gefordert. Es gibt auch keinen Kopierer, sodass man Arbeitsblätter machen
könnte. Meistens frage ich etwas aus der letzten Stunde ab. Dabei merkt man
ganz deutlich, dass die gleichen Sätze einfach auswendig gelernt werden. Dann
schreibe ich etwas Neues an und lasse die Schüler vorlesen. Wenn man versucht
gezielt Fragen zu stellen, sodass die Schüler eventuell selber auf den nächsten
Schritt kommen oder die Lösung finden, funktioniert das meistens nicht. Sie
sind nicht zu dumm dazu, sondern sie sind es nicht gewohnt selber zu denken um
auf eine Lösung zu kommen. In der Primary habe ich außerdem einen Klassenraum
mit Spendengeldern renovieren lassen, worüber sich der Schulleiter tierisch
gefreut hat.
Der Deutschunterricht in der Highschool verläuft ziemlichkenianisch.
Es gibt einen richtigen Deutschlehrer, bei dem die Klasse Vormittagsunterricht
hat. Für unsere Stunden am Nachmittag gibt es keinen festen Stundenplan und mal
kommen die Schülerinnen, mal nicht, mal nur die Hälfte des Kurses und dann die
andere. Zu dem besteht der Deutschkurs aus Schülerinnen aus zwei verschiedenen
Klassen, die sich untereinander nicht verstehen. Vormittags haben sie
mittlerweile getrennten Unterricht. Das macht es nicht gerade einfacher. Im Mai
ist ein deutsches Kulturfest in Nairobi, wofür wir mit den Schülerinnen ein
kleines Theaterstück, ein Gedicht und einen Rap einüben sollen. Bis dahin werde
ich die Klasse wohl noch machen. Leider ist auch die Absprache mit dem
Deutschlehrer schwierig und es kommt doch immer alles anders als abgesprochen
war.
Seit Februar gehe ich mit Kathi 2-3 Mal in der Woche zu unserem Dholuolehrer.
Langsam verbessern sich meine Kenntnisse. Die Leute freuen sich wahnsinnig,
wenn man sie auf Dholuo anspricht!
Hier gibt es einige Leute, mit denen ich mich gut verstehe
und auch manche mit denen man sich auch tiefer gehend unterhalten kann.
Allerdings meinen viele hier, nachdem du dich einmal mit ihnen unterhalten
hast, dass ihr Freunde seid. Manchmal kommt dann leider auch die Forderung, wir
sind Freunde und Freunde helfen sich. Gib mir Geld, damit ich dies und jenes
kaufen kann.
In den letzten Wochen bin ich etwas durch Kenia gereist.
Kenia ist ein sehr vielfältiges Land – landschaftlich wie kulturell gesehen. Es
gibt 42 Stämme in Kenia und ähnlich viele verschiedene Sprachen. In Nairobi
liegt das wirtschaftliche Zentrum des Landes. Hier ist fast die ganze Industrie
angesiedelt, es gibt Shopping Malls, internationale Unternehmen, Banken, die UN,
Reichenviertel und riesige Slums. Im Größten Slum wohnen 200.000 Menschen. Es
gibt zwar Wohnungsbauprojekte, doch die Leute vermieten lieber die ihnen
zugeteilten Wohnungen und bleiben in ihrem Wellblechhütten. Sie sind es gewohnt
und können so etwas Geld verdienen. Die Stadt ist völlig überlastet, man steht
ständig im Stau. Nairobi liegt im fruchtbaren Rifft Valley, nachts wird es
kalt. Die kenianische Bevölkerung konzentriert sich auf den südwestlichen Teil
des Landes und manche Küstenabschnitte. In diesen Regionen gibt es genug Regen,
die Hauptstraßen sind mehr oder weniger geteert und die größeren Städte liegen
dort. Im krassen Gegensatz zu Nairobi steht für mich der Norden Kenias. Hier
ist es absolut trocken. Die Menschen leben als Halbnomaden in Gras- oder
Palmhütten. Man sieht Kinder beim Ziegenhüten. Der Norden ist nur sehr gering
besiedelt und nimmt kaum Anteil an der kenianischen Wirtschaft. Dabei stellt
sich mir die Frage, wie Kenia als Staat bestehen kann und wie lange noch. Ist
eine staatliche Ordnung in einer Region in der Nomaden leben überhaupt
sinnvoll? Kenia ist ein künstliches Gebilde, eine Hinterlassenschaft der
Kolonialisierung. So viele Kulturen vereint in einer Nation, wie soll das
funktionieren?
In Lwak passiert im Moment nicht viel Neues. Allerdings
möchte ich jetzt im Homecraft Center (hier werden Schüler für das Hotelfach
ausgebildet) einen Deutschkurs anbieten. Im Gegensatz zum Unterricht in der
Highschool könnte ich das komplett selbst organisieren. Im Urlaub habe ich
nämlich festgestellt, dass bei so vielen deutschen Touristen ein paar
Deutschkenntnisse sicher nicht unnütz sind.
Die Arbeit im Krankenhaus macht mir jedoch am meisten Spaß,
weil ich dort mittlerweile wirklich helfen kann. Ich bin froh, dass mir hier
noch ein paar Monate bleiben und werde die restliche Zeit in diesem tollen Land,
das so ganz anders ist als Deutschland, noch genießen.