Montag, 7. Mai 2012

Zwischenbericht für weltwärts


Die erste Halbzeit ist nun wirklich um und im Moment vergeht die schöne Zeit rasend schnell. Natürlich ist nicht immer alles einfach und manchmal bin ich richtig genervt von den Kenianern. Ich werde hier anerkannt und mit Respekt behandelt, die Leute kennen mich und mit den meisten Kollegen verstehe ich mich echt gut. Aber man ist und bleibt Deutsch. Auch wenn es mit der Sprache langsam besser wird und man die Gewohnheiten und das Verhalten der Leute kennt. Die eigene Identität kann ich nicht so einfach ablegen und ich merke, dass die Denkweise, meine und die der anderen, doch ganz stark von der Kultur, in der man aufwächst, geprägt wird. Ich dachte, sich anzupassen, kann doch nicht so schwer sein, aber auf Dauer ist das anstrengend. Dann tut es gut, sich mit anderen Deutschen auszutauschen und schon mal ein „die spinnen, die Kenianer“ los zu werden. Ich möchte nicht damit sagen, dass Deutsche besser sind als Kenianer. „Jede Kultur ist gut“ hat ein tansanischer Priester auf dem Zwischenseminar zu uns gesagt. Jede Kultur hat ihre guten und schlechten Aspekte. Daher kann jeder von jedem lernen. Z.B. zählt der Familienzusammenhalt hier viel mehr. Die Tochter unseres Dholuolehrers hat z.B. die fünfte Tochter einer Freundin bei sich aufgenommen. Diese Freundin wohnt mit ihrem Mann und den anderen Kindern in einem Slum in Nairobi und hat keine Arbeit. Die Kinder können nicht zur Schule gehen. Hier geht das kleine Mädchen zur Schule und nennt ihre Pflegemutter sogar Mama. Diese teilt ihr Bett mit ihr!
Andererseits scheint hier niemand seinem Partner wirklich treu zu sein. Themen wie HIV werden dabei tot geschwiegen. Die Kirche leistet in Kenia viel. Es werden gute Schulen und Krankenhäuser gebaut, sie gibt den Menschen Hoffnung und für viele ist die Sonntagsmesse der Höhepunkt der Woche. Es ist die einzige Abwechslung vom Alltag für viele. Da kann man verstehen, dass ein drei Stunden Gottesdienst gefordert wird.
Aber warum steht in einem Science Buch (für den Naturwissenschaftenunterricht).
„Sex vor der Ehe ist schlecht. Sex vor der Ehe kann HIV übertragen“. Kein Wort über Sex nach der Ehe. Kein Wort zu Kondomen. Und das in der Schule. Zuhause erfahren die Kinder sicher keine Aufklärung!
Über HIV spricht man nicht, doch die Infektionsrate liegt bei 40%. Wie soll das in ein paar Jahren aussehen?
Mittlerweile kennen einen die Leute im Dorf, doch geht man ein paar Kilometer weiter ist man wieder nur „Mzungu“. In Deutschland würde man niemandem mit „ hey schwarzer Mann“ ansprechen! Außerdem sehen viele in deiner Hautfarbe das Geld. Von Straßenverkäufern wird man viermal solange belagert wie die Einheimischen und auf dem Markt wird mindestens der doppelte Preis genannt. Auch nach einem halben Jahr wird man immer wieder in Kenia willkommen geheißen, sogar im eigenen Parish.
Im Moment sieht mein Alltag so aus, dass ich vormittags ins Krankenhaus gehe und dort entweder in der Pharmazie, auf der Station, im Büro oder auf der HIV- Station helfe
Irgendwann am Tag habe ich eine Sciencestunde in der gemischten Primary School. Der Unterricht macht Spaß, ist aber auch anstrengend. Nur manche Kinder haben Bücher und das Lerntempo ist sehr unterschiedlich. Immerhin verstehen sie mittlerweile mein Englisch und ein Junge spricht scheinbar erst Englisch, seit ich den Unterricht mache. Bei anderen Lehrern können sie auf Dholuo ausweichen. Außerdem muss der Unterricht für die Schüler furchtbar langweilig sein. Das Lernprinzip in Kenia besteht aus Vor- und Nachsagen und Auswendiglernen. Selbstständiges Lernen wird nicht gefordert. Es gibt auch keinen Kopierer, sodass man Arbeitsblätter machen könnte. Meistens frage ich etwas aus der letzten Stunde ab. Dabei merkt man ganz deutlich, dass die gleichen Sätze einfach auswendig gelernt werden. Dann schreibe ich etwas Neues an und lasse die Schüler vorlesen. Wenn man versucht gezielt Fragen zu stellen, sodass die Schüler eventuell selber auf den nächsten Schritt kommen oder die Lösung finden, funktioniert das meistens nicht. Sie sind nicht zu dumm dazu, sondern sie sind es nicht gewohnt selber zu denken um auf eine Lösung zu kommen. In der Primary habe ich außerdem einen Klassenraum mit Spendengeldern renovieren lassen, worüber sich der Schulleiter tierisch gefreut hat.
Der Deutschunterricht in der Highschool verläuft ziemlichkenianisch. Es gibt einen richtigen Deutschlehrer, bei dem die Klasse Vormittagsunterricht hat. Für unsere Stunden am Nachmittag gibt es keinen festen Stundenplan und mal kommen die Schülerinnen, mal nicht, mal nur die Hälfte des Kurses und dann die andere. Zu dem besteht der Deutschkurs aus Schülerinnen aus zwei verschiedenen Klassen, die sich untereinander nicht verstehen. Vormittags haben sie mittlerweile getrennten Unterricht. Das macht es nicht gerade einfacher. Im Mai ist ein deutsches Kulturfest in Nairobi, wofür wir mit den Schülerinnen ein kleines Theaterstück, ein Gedicht und einen Rap einüben sollen. Bis dahin werde ich die Klasse wohl noch machen. Leider ist auch die Absprache mit dem Deutschlehrer schwierig und es kommt doch immer alles anders als abgesprochen war.
Seit Februar gehe ich mit Kathi  2-3 Mal in der Woche zu unserem Dholuolehrer. Langsam verbessern sich meine Kenntnisse. Die Leute freuen sich wahnsinnig, wenn man sie auf Dholuo anspricht!
Hier gibt es einige Leute, mit denen ich mich gut verstehe und auch manche mit denen man sich auch tiefer gehend unterhalten kann. Allerdings meinen viele hier, nachdem du dich einmal mit ihnen unterhalten hast, dass ihr Freunde seid. Manchmal kommt dann leider auch die Forderung, wir sind Freunde und Freunde helfen sich. Gib mir Geld, damit ich dies und jenes kaufen kann.
In den letzten Wochen bin ich etwas durch Kenia gereist. Kenia ist ein sehr vielfältiges Land – landschaftlich wie kulturell gesehen. Es gibt 42 Stämme in Kenia und ähnlich viele verschiedene Sprachen. In Nairobi liegt das wirtschaftliche Zentrum des Landes. Hier ist fast die ganze Industrie angesiedelt, es gibt Shopping Malls, internationale Unternehmen, Banken, die UN, Reichenviertel und riesige Slums. Im Größten Slum wohnen 200.000 Menschen. Es gibt zwar Wohnungsbauprojekte, doch die Leute vermieten lieber die ihnen zugeteilten Wohnungen und bleiben in ihrem Wellblechhütten. Sie sind es gewohnt und können so etwas Geld verdienen. Die Stadt ist völlig überlastet, man steht ständig im Stau. Nairobi liegt im fruchtbaren Rifft Valley, nachts wird es kalt. Die kenianische Bevölkerung konzentriert sich auf den südwestlichen Teil des Landes und manche Küstenabschnitte. In diesen Regionen gibt es genug Regen, die Hauptstraßen sind mehr oder weniger geteert und die größeren Städte liegen dort. Im krassen Gegensatz zu Nairobi steht für mich der Norden Kenias. Hier ist es absolut trocken. Die Menschen leben als Halbnomaden in Gras- oder Palmhütten. Man sieht Kinder beim Ziegenhüten. Der Norden ist nur sehr gering besiedelt und nimmt kaum Anteil an der kenianischen Wirtschaft. Dabei stellt sich mir die Frage, wie Kenia als Staat bestehen kann und wie lange noch. Ist eine staatliche Ordnung in einer Region in der Nomaden leben überhaupt sinnvoll? Kenia ist ein künstliches Gebilde, eine Hinterlassenschaft der Kolonialisierung. So viele Kulturen vereint in einer Nation, wie soll das funktionieren?
In Lwak passiert im Moment nicht viel Neues. Allerdings möchte ich jetzt im Homecraft Center (hier werden Schüler für das Hotelfach ausgebildet) einen Deutschkurs anbieten. Im Gegensatz zum Unterricht in der Highschool könnte ich das komplett selbst organisieren. Im Urlaub habe ich nämlich festgestellt, dass bei so vielen deutschen Touristen ein paar Deutschkenntnisse sicher nicht unnütz sind.
Die Arbeit im Krankenhaus macht mir jedoch am meisten Spaß, weil ich dort mittlerweile wirklich helfen kann. Ich bin froh, dass mir hier noch ein paar Monate bleiben und werde die restliche Zeit in diesem tollen Land, das so ganz anders ist als Deutschland, noch genießen.